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Bildhauer Tony Cragg - Weltstar und Erschaffer der Purple-Path-Skulptur in Aue-Bad Schlema - feiert seinen 75. als Brite mit deutschem Pass

Mit seinen Skulpturen ist der Liverpooler weltberühmt geworden. Eine seiner Arbeiten steht seit September 2022 als Schwergewicht im Erzgebirge. Sie rief diverse Reaktionen hervor. Seinen Geburtstag feiert der Künstler am Dienstag bescheiden in Wuppertal.

Kunst.

Er ist ein Weltstar der Kunst - und seine Wahlheimat ist Wuppertal. Seit mehr als 45 Jahren lebt und arbeitet der international renommierte Bildhauer Tony Cragg in der oft unterschätzten bergischen Stadt. Skulpturen des gebürtigen Liverpoolers stehen in vielen Städten der Welt - seit September 2022 auch im erzgebirgischen Aue-Bad Schlema.

Die übermannshohe Skulptur "Stack" war das zweite Werk, das Kurator Alexander Ochs für den neuen Purple Path, den lila Kunstpfad, organisierte und aufstellen ließ. Der Purple Path ist eines der großen Projekte für die Chemnitzer Kulturhauptstadtregion im Jahr 2025. Cragg - Documenta-Teilnehmer, Turner-Preisträger und Commander of the British Empire - hält aber rein lebenstechnisch seit 1977 Wuppertal die Treue. Dort hat er sich einen Traum erfüllt und einen Skulpturenpark geschaffen, in dem zwischen alten Bäumen Werke internationaler Bildhauer-Kollegen stehen. Der 2008 eröffnete Skulpturenpark ist ein Publikumsmagnet und zieht jährlich rund 40.000 Besucher an. Heute wird Cragg 75 Jahre alt. Und feiert seinen Geburtstag natürlich in Wuppertal.

Das schwerste Werk in Arbeit

"Sehr klein", feiere er seinen Geburtstag, sagt der bescheiden auftretende Cragg. Mittags ist ein Essen mit seinen Atelier-Mitarbeitern geplant, den Abend verbringt er im Kreis seiner großen Familie, zu der vier Kinder und inzwischen fünf Enkelkinder gehören. Viel Zeit hat Cragg aber nicht fürs Feiern. Denn seine oft in sich geschichteten und verdrehten Skulpturen, die sich meterhoch in die Höhe schrauben, sind international gefragt. Gerade arbeitet er an seinem bisher schwersten Werk: eine 30 Tonnen schwere und sieben Meter hohe Skulptur aus gegossenem Edelstahl, die in ein Land in Asien geliefert wird. Wohin genau, das verrät Cragg noch nicht.

Berühren oder nicht berühren?

Eine Skulptur von Cragg hat oft einen Wiedererkennungswert, ob sie aus Holz, glänzendem Edelstahl, Bronze, Fiberglas oder Plastik gefertigt wurde. Häufig meinen Betrachter in ihnen wie von einem gigantischen Luftzug verzerrte Profile menschlicher Gesichter oder Körper zu erkennen. Unwillkürlich kommt der Impuls, die oft glatten Oberflächen zu berühren. Cragg berührt seine Kunstwerke nach der Vollendung nur noch so wenig wie möglich. Und dass im Skulpturenpark in Wuppertal kleine Besucher manchmal auf seine edlen Kunstwerke klettern, findet er auch nicht gut.

Aber im Düsseldorfer Kunstpalast ist der ehemalige Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie über seinen Schatten gesprungen. 30 Skulpturen aus seinem Privatbesitz sind dort derzeit in der Ausstellung "Please touch!" aufgestellt und dürfen tatsächlich berührt werden. Dabei fallen zwei Dinge auf: Oft sind die Oberflächen sehr glatt. Und die Werke sind nicht immer abstrakt. Aus den Fingern einer Bronzehand etwa wachsen zahllose kleine Hände und verbinden sich zu einer korallenartigen Form. Neuere Skulpturen Craggs bestehen aus unzähligen Köpfen mit Nasen und Ohren oder bilden eine bronzene Welle aus Hunderten winzigen Menschen.

Alles hat mit den Menschen zu tun

Für Cragg ist jede Skulptur eine Art materielle Verlängerung des Menschen. Seiner Meinung nach hat die Kunstgeschichte die historische Zweiteilung zwischen figurativ und abstrakt längst überwunden. "Im Grunde genommen ist die Bildhauerei weit daran vorbei", sagt er. So habe Marcel Duchamp schon 1917 ein Urinal als Kunstwerk ausgestellt, und auch ein Stuhl sei das Abbild eines Menschen. "Also alle Materialien sind die Verlängerung oder Erweiterung der eigenen Physis", sagt Cragg. "Ich verstehe alles als eine Verlängerung von mir selbst."

Die Skulptur in Aue-Bad Schlema

Die Bronzeskulptur "Stack" - übersetzt werden kann das mit "Stapel" - im Kurpark Aue-Bad Schlema entstand 2019, ist fast vier Meter hoch und lässt mit ihren Schichten und Schwüngen vielerlei Assoziationen zu. Kurator Ochs, so sagte er in einem Interview der "Freien Presse", erinnert sie an aufgeschüttete Erde passend zur Bergbauregion des Erzgebirges.

Am Purple Path werden von verschiedenen Künstlern stammende Kunstwerke aufgestellt, die neu für den jeweiligen Ort entstehen, oder, wie bei Cragg, bereits existieren, aber zur Region passen und deshalb für den Pfad gekauft oder geliehen werden. Auch an verwitterte Felsen, verschliffenes Holz oder vulkanische Rauchsäulen könne die Skulptur erinnern, zudem Vorstellungen von digitaler Datenvisualisierung hervorrufen, wie es in einer Broschüre der Kulturhauptstadt heißt.

Vor Ort polarisiere die Skulptur aber auch, sagt Jana Hecker, Sprecherin der Stadt Aue-Bad Schlema. Manche schimpften über den eher undefinierbaren Haufen, andere fänden ihn spannend und seien davon fasziniert, wie unterschiedlich die Figur bei unterschiedlichem Licht wirke. Und: Vandalismus müsse man hier bisher nicht beklagen, so Hecker.

Geprägt von der Sammelleidenschaft

Bevor Cragg Kunst studiert hatte, machte er auf Wunsch seines Vaters, eines Flugzeugingenieurs, eine Lehre als Chemielaborant. Inspiriert war Cragg immer auch von Physik und Biologie. Schon als junger Mann experimentierte er mit den Formen der Natur. Als Kind sammelte er in den Ferien auf dem Hof des Großvaters in Südengland Fossilien. Bis heute lebt er seine Sammelleidenschaft aus: "Von überall, wohin ich reise, komme ich meistens mit einem Stein oder zwei zurück."

Cragg war auf vielen bedeutenden Ausstellungen weltweit vertreten, mehrfach auf der Documenta in Kassel und auf der Biennale in Venedig. Sein Werk ist äußerst vielfältig: Früher fertigte er aus buntem Alltags-Plastikmüll wie Bechern, Tellern und Sandkastenspielzeug Boden- und Wandinstallationen an. Bretter, Pappe, Kisten vom Sperrmüll stapelte er - Stapel sind zentral in seiner Arbeit - ganz zu Anfang seiner Karriere 1975 zu einem meterhohen Würfel.

Von 2009 bis 2013 war Cragg Rektor der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie, wo er zuvor bereits zweimal für mehrere Jahre als strenger Kunstprofessor gelehrt hatte. Vergangenes Jahr übernahm Cragg für einige Monate übergangsweise noch einmal die Führung der Akademie, nachdem die Hochschule wegen Fehlern bei der Rektoren-Wahl zeitweise ohne Leitung war. Auch an der Berliner Universität der Künste hat Cragg als Professor für Bildhauerei gelehrt.

Brexit-Kritiker

Heute besitzt der Englishman in Wuppertal die deutsche Staatsbürgerschaft. Cragg nahm sie nach dem Brexit an, den er scharf kritisierte. Er lebt das Gegenteil von Abschottung. Neulich habe er mal durchgezählt: Er habe bisher 88 Länder in seinem Leben besucht. "Ich bin immer für menschliche Versöhnung und Verständnis füreinander." Was die 75 für ihn bedeutet? Er fange an, etwas mehr zu planen, etwas konstruktiver mit der Zeit umzugehen, sagt er. Künstlerisch ist sein Weg offen. "Heute kann ich wirklich überhaupt nicht sagen, wo meine Arbeit noch hingeht", sagt Cragg.

Derweil sollen am Purple Path in der Region um Chemnitz allein in diesem Jahr noch insgesamt 20 Werke weiterer Künstler aufgestellt werden, am 11. April 2025 wird der Pfad offiziell eröffnet. Craggs Figur dürfte eines der Schwergewichte am Pfad bleiben - bezüglich ihrer Ausmaße wie auch der Berühmtheit ihres Erschaffers.

» tony-cragg.com

» freiepresse.de/kulturhauptstadt

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