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DFB-Präsident Neuendorf im „Chemnitzer Salon“: „Unser Verband ist nicht dafür da, irgendwelche Vereine zu pampern“

Bernd Neuendorf ist kein Lautsprecher, niemand, der sich beim Deutschen Fußballbund (DFB) in die erste Reihe gedrängt hat. Doch viele Hoffnungen ruhen nun auf ihm – und einige sächsische davon ließ der Präsident des größten Einzelsportverbands der Welt am Donnerstag im „Chemnitzer Salon“ der „Freien Presse“ platzen.

Chemnitz.

Bernd Neuendorf haftet etwas Bodenständiges an. Ihm wird zugetraut, dass er beim DFB aufräumt mit Misswirtschaft und Klüngel, dass er dem größten Sportverband der Erde die Bodenhaftung zurückgibt. Vor allem aber, dass er den Fußball den Menschen zurückgibt, die ihn lieben. Im „Chemnitzer Salon“ der „Freien Presse“ ist er aber vor allem Erklärer – auch wenn er sich den Fragen von „Freie Presse“-Chefredakteur Torsten Kleditzsch und Sportchef Christoph Benesch stellt.

Neuendorfs Herz hängt an der Alemannia

Neuendorfs Herz schlägt für schwarz-gelb, die Alemannia aus Aachen, ein Traditionsklub durch und durch, der gerade den Sprung zurück in den Profi-Fußball geschafft hat. Nach elf Jahren Siechtum in der Regionalliga und zwei Insolvenzen. „Aber das ist ein unglaublicher Traditionsverein mit einer unglaublichen Atmosphäre, Euphorie und Stimmung“, schwärmt der DFB-Chef vom „Tivoli“, dem Stadion der Aachener, an diesem Abend. Zuletzt pilgerten in dieses Stadion bis zu 30.000 Fans – und das zu Spielen in der vierten Liga.

Was der DFB aus Katar gelernt hat

Neuendorf, der ehrliche Arbeiter vom Niederrhein, hat schon mehrere Karrieren hinter sich: als Journalist, in der Politik, im Fußball. Dass er aber 2022 Präsident des größten Sportverbands der Welt mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern werden würde, davon hatte er nie geträumt. „Ich bin wie die Jungfrau zum Kind dazu gekommen“, sagt er. Und doch musste er gleich das sportliche und politische Fiasko bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar erklären, die Debatte um die Regenbogen-Kapitänsbinde moderieren und machte dabei nicht immer eine gute Figur. Doch daraus hat er gelernt. „Solche Themen dürfen und werden wir künftig nicht mehr mit in ein Turnier nehmen“, sagt er und kündigt für die Heim-Europameisterschaft vom 14. Juni bis 14. Juli an: „Wir spielen mit der Deutschlandbinde – also schwarz, rot, gold.“

„Hätte in Katar denn tatsächlich mit Regenbogen-Binde ein Ausschluss gedroht?“, will Torsten Kleditzsch wissen. Der DFB-Chef lässt ihn aber ins Leere laufen. Der Weltfußballverband FIFA habe mit „unbegrenzten Sanktionen“ gedroht und den DFB dann aber im Ungewissen über die Härte der Strafe gelassen, so Neuendorf. „Das hätte eine Geldstrafe sein können, aber es hätten auch Spieler gesperrt werden können. Dieses Risiko wollten wir nicht eingehen.“

Pink ist ein Verkaufsschlager

Zweifelsohne hat der DFB mit seinen sieben Millionen Mitgliedern gesellschaftliches Gewicht. Im Hintergrund soll der 62-Jährige zwar für Ruhe und geordnete Abläufe sorgen, den DFB einen, der lange durch Intrigen und Vetternwirtschaften, von Neid und Missgunst zerstritten war. Ob Menschenrechte, Ukraine-Krieg oder nun das pinke Auswärtstrikot der Nationalelf – Neuendorf weiß aber auch, dass sein Amt ein sehr politisches ist, dass sein Verband zu vielen Dingen Farbe bekennen muss. Kritikern nahm der DFB zuletzt sogar schon ab und an den Wind vorab aus den Segeln, etwa ob das pinke Deutschland-Trikot zu Deutschland passt. „Wir hatten diese Diskussion schon vorhergesehen“, sagt Neuendorf. Ein Film, in dem Prominente erklärten, warum gerade dieses Jersey zu Deutschland passt, ließ die Kritiker dann schnell verstummen. Heute ist es eines der am häufigsten gekauften Auswärtstrikots in der DFB-Geschichte.

So pleite ist der DFB

Neuendorf ist ein Strippenzieher, der versöhnt, zuhört, alle mitnehmen will. Auf den Tisch hauen ist seine Sache nicht. „Am Ende des Tages brauchst du Mehrheiten. Wir haben Bundestage und Delegierte aus allen Landesverbänden, da wird über alles demokratisch entschieden. Wichtig ist, besonnen zu sein, die zentralen Linien nicht aus dem Blick zu verlieren“, sagt er. Das gilt vor allem auch für das Geld. Dass der DFB reich sei, stimme nicht, sagt der gebürtige Dürener.

Erst kürzlich musste DFB-Finanzchef Stephan Grunwald im noch weitgehend von der alten DFB-Führung zu verantwortenden Finanzbericht 2022 ein Minus von 4,2 Millionen Euro ausweisen, das noch fast zehn Millionen Euro höher ausgefallen wäre, wenn der DFB nicht einen Rentenfonds aufgelöst hätte – ein Einmaleffekt. Im Jahr 2021 machte der Verband sogar einen Verlust von 33,5 Millionen Euro. Der DFB muss sparen, kürzen. Für die Geschäftsjahre 2023 und 2024 plant er mit einer schwarzen Null.

So rechtfertigt Neuendorf den Nike-Deal

Dass die Nationalelf ab 2027 mit Nike statt mit Adidas aufläuft, sei daher wirtschaftlich alternativlos gewesen, sagt Neuendorf. Über konkrete Summen spricht er nicht. „Aber unser Schatzmeister hat mal gesagt, nur für ein paar Milliönchen mehr hätten wir Adidas bestimmt nicht verlassen. Dafür war die Bindung zu stark.“ Politikern wie Wirtschaftsminister Robert Habeck, die ihm deshalb fehlenden Patriotismus vorgeworfen hatten, hält Neuendorf entgegen: „Wir sind ein gemeinnütziger Verband, der sich selbst finanzieren muss.“ Dieser Nike-Deal sei auch erforderlich, um die Trainer- und Schiedsrichterlehrgänge, die Nachwuchsleistungszentren und all die anderen Dinge an der Basis in den bundesweit 24.000 Vereinen aufrechterhalten zu können – und zwar auch in Habecks Wahlkreis. „Freie Presse“-Sportchef Christoph Benesch hakt da nach, wohin das Geld genau geht. Neuendorf: „Wir haben dazu schon 300 Vorschläge auf dem Tisch.“ Noch sei aber alles offen.

Warum die Ost-Klubs weiter in die Relegation müssen

Neuendorf ist an diesem Abend vor allem aber ein gelassener Erklärer, gerade auch wenn es darum geht, warum der Regionalliga-Meister im Westen und im Südwesten der Republik direkt in die 3. Liga aufsteigen darf, der nordostdeutsche Titelgewinner sich dafür in zwei von drei Jahren aber erst noch in der Relegation durchsetzen muss. Im Westen und Südwesten seien 50 Prozent der deutschen Fußball-Vereine beheimatet, so Neuendorf. „Das muss sich natürlich auch irgendwie spiegeln.“ Die Hoffnung auf eine Änderung dieser Regelung vieler Sachsen lässt er platzen. „Dafür sehe ich derzeit keine Mehrheit in den Gremien“, sagt Neuendorf und blickt noch einmal zurück: Dieser Modus sei ja erst vor wenigen Jahren beschlossen worden, und zwar auch mit Zustimmung des nordostdeutschen Verbands. Die Alternative wäre gewesen, die fünf Landesverbände auf vier zu reduzieren. Da hätten aber gerade auch die nordostdeutschen Delegierten gesagt: „Das wollen wir nicht, da verlieren wir unsere zuschauerstarken Derbys.“

Zugleich hat Neuendorf, selbst Vater zweier Kinder, noch eine weitere bittere Pille dabei, und zwar für den DFB-Jugendfußball-Stützpunkt in Annaberg. „Ich kann heute nicht zusagen, dass der wieder aufleben wird.“ Auf die Unterstützung für das Nachwuchsleistungszentrum beim Chemnitzer FC will er aber noch einmal einen Blick werfen - und vielleicht nachlegen.

DFB-Chef: Verband nicht fürs Pampern irgendwelcher Vereine da

Was den DFB im eigenen Land angeht, sieht Neuendorf den Verband in der Neuformation mit Andreas Rettig als Sport-Geschäftsführer, Hannes Wolf als Direktor für den Nachwuchsfußball und Nia Künzer für die Frauen „sehr gut aufgestellt. Wir wollen den Jugend- und Frauenfußball besser im Bewusstsein verankern. Wir wollen die Sichtbarkeit größer machen.“ Forderungen aus dem Publikum, die Ost-Vereine stärker finanziell zu unterstützen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen, erteilt er aber eine Absage. „Der DFB ist nicht dafür da, irgendwelche Vereine zu pampern“, erklärt er. Sein Verband dürfe aus rechtlichen Gründen gar keinen Verein bevorteilen oder direkt unterstützen.

Auf die Europameisterschaft im eigenen Land freut sich Neuendorf. Die Nachfrage, ob es Nachwehen wie nach der WM 2006 wegen der Vergabe geben könne, wischt er vom Tisch: „Ich lege da für die beteiligten Personen meine Hand ins Feuer, auch wenn ich selbst noch nicht dabei war.“ (juerg)

 
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