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Friseurmeister im Erzgebirge geht in den Ruhestand – und die erste Auszubildende gleich mit

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Als Friseur musst du auch Seelsorger und Diplomat sein, weiß Ralf Köhler. Mit 71 Jahren schließt er seinen Stollberger Salon. Wieso ihm wegen eines berüchtigten Spruchs nie bange war und was aus dem Laden wird.

Stollberg.

Ein Friseurbesuch? Für Ralf Köhler, wäre er Kunde, eher Muss als Wonne. Entspannt sitzen, sich den Kopf waschen, massieren und Haare schneiden lassen: "Für so was bin ich zu hibbelig", sagt der Stollberger. Doch die andere Rolle, die des Friseurmeisters, hat er Jahrzehnte genossen. Nun, mit sportlichen 71 Jahren, die man ihm nicht ansieht, schließt der Erzgebirger sein Geschäft. Obwohl die Rente schon früher drin gewesen wäre. "Als Friseur kannste das bringen, auf dem Bau eher nicht", kommentiert er trocken. Übrigens: Leben wird im Laden auch künftig herrschen.

Überhaupt zeigt sich die Branche stabil. 377 Betriebe gab es vor rund zehn Jahren im Erzgebirgskreis, so die Handwerkskammer. Zuletzt waren es 368 - einer davon der von Ralf Köhler. Dabei wollte dieser Tischler werden. Eines der drei Geschwister sollte jedoch den Salon von Mutter Marianne fortführen, die als Alleinerziehende für das Familienauskommen sorgte. Der Älteste nahm an.

Schüttelfrisuren als Modetrend und guter Einstieg ins Geschäft

Fast einen Strich durch die Rechnung machten ihm dabei die Behörden in der DDR - wegen einer Zehn-Tage-Geschichte. Denn seine Meisterprüfung hatte Köhler Ende 1976 schon in der Tasche, lediglich die Verteidigung der Hausarbeit fehlte noch. Dieser Termin lag kurz nach dem Jahreswechsel, ab dem Köhler das Geschäft übernehmen sollte. Er griff zum Telefon. "Beim Rat des Kreises habe ich gedroht, dass ich nach Karl-Marx-Stadt abwandere. Keine zwei Tage später lag die Genehmigung vor", berichtet er. Was heute banal klingt, hatte große Bedeutung: Ein Gewerbe gründen konnten Handwerker nur, wenn ein anderer Betrieb schloss - oder aber ein Familienerbe anstand.

Aus modischer Sicht entpuppte sich der Zeitpunkt für den Einstieg als günstig. Schüttelfrisuren wie von Mireille Mathieu, den Beatles und den Stones verhießen einen guten Start. Friseure durften sie nur nach einem Zusatzlehrgang anbieten - den Köhler neben seiner Meisterausbildung gleich mit durchzog. Das sicherte Einnahmen: Während der normale Herrenschnitt 1,35 Mark kostete, schlug eine der begehrten Damenfrisuren mit rund 15 Mark zu Buche, erinnert sich der Friseurmeister. Gleichwohl ging bei diesen Preisen nichts ohne Subventionen. Köhler: "Auf den Herrenumsatz gab‘s am Jahresende 80 Prozent Förderung."

Längst hat sich das geändert, doch eins blieb. "Als Friseur musst du Seelsorger sein", weiß Köhler. Man müsse sich den Kunden anpassen. Mancher wolle schweigen, ein anderer reden. Es gehe um Aufmerksamkeit und die Botschaft: Du bist wichtig. "Der Haarschnitt ist oft nur Nebensache."

Aber eben nicht immer. Brenzlig kann es werden, wenn Kundinnen ihre Frisurenwünsche mit Bildern aus Modezeitschriften unterstreichen. Dann ist mitunter der Diplomat Ralf Köhler gefragt. Er schmunzelt: "Einmal habe ich auf das Bild geguckt, dann in die Spiegel und gesagt: Sie wissen schon, dass das eine ausgesprochen schöne Frau ist." Übel genommen habe die Dame ihm das nicht, sagt er, sie sei seine Kundin geblieben.

Und dann wäre da noch der berüchtigte Satz: "Wie immer bitte." Wie soll sich ein Friseur bei Hunderten Menschen daran erinnern? Köhler setzt aufs Auge: "Ein guter Friseur sieht das." Er frage, wie lange der letzte Schnitt her sei. Einen Zentimeter pro Monat wachse das Haar - entsprechend wird dann gekürzt.

Herzschmerz verspürt Ralf Köhler nicht, wenn er ans Aufhören Ende März denkt. Es ist an der Zeit, und auch Carola Recklies - die 65-Jährige ist sein erster Lehrling gewesen und seine letzte Angestellte - geht dem Ruhestand entgegen. Für sie habe er gern ein paar Jährchen länger gemacht. Er selber will sich stärker dem Schnitzen widmen und erneut für den Stadtrat kandidieren.

Duo übernimmt den Laden von Ralf Köhler

Seinen Laden weiß er auch künftig in guten Händen: Nach einer Umbaupause werden dort Josephine Terner und Gerrit Schulze, die in Oelsnitz arbeiten, ihren Salon eröffnen.

"Es ist ganz putzig. Ich freue mich nicht, bin aber auch nicht traurig", fasst Köhler sein Innenleben vor der Rente zusammen. "Für mich ist das undefinierbar. Doch andere haben das schließlich auch geschafft." (urm)

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