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Abgesägte Zeigefinger: K.I.Z. und ihr Gesellschaftsspiegel im "Görlitzer Park"

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Das siebte Album der Berliner Rapgruppe ist der bisher eindringlichste popkulturelle Debattenbeitrag in diesem Jahr. Der Tiefblick und die lyrische Intensität, mit denen das Trio hier ganz unironisch die Weltlage der Nation auseinander nimmt, lässt den Hörer benommen zurück. Doch zahlt sich dieser Mut auch aus?

Deutschrap.

"Es sind nicht immer Affenlaute von der Fantribüne / manche Rassisten demonstrier'n gegen Rechts und wähl'n die Grünen." Nach dem 2015er Erfolgsalbum "Hurra die Welt geht unter", auch dem K.I.Z. ihr comichaftes Straßenrap-Übertreibungsmuster erstmals mit bissiger Gesellschaftskritik mischten, sind solche Direkt-Reime wie in "Sensibel" keine Komplettüberraschung. Doch ein ganzes Album ohne Ironie? Nachdem die Band 2021 mit "Rap über Hass" das alte Fan-Klientel wieder derart vollbedient hatte?

"Görlitzer Park", die neue Scheibe der Rapper Tarek, Maxim und Nico ist eine ebenso klare wie tiefe Zustandsbeschreibung des heutigen Deutschland in Europa, aus dem Herzen des Landes und einer vor allem migrantischen Perspektive. Dazu hat das Trio die alte Bissigkeit fast völlig abgelegt und durch eine Art enttäuschte Sachlichkeit ersetzt. Das klingt erst einmal nach Kassengift, vor allem für alte Anhänger. Doch es funktioniert beängstigend großartig.

Großartige Geschichtenerzähler

Denn K.I.Z. pfeift auf bekannte Diskurslinien und stellt mit viel Menschenverstand persönliche Sichtweisen auf je ein Problem pro Track her: Pazifismus, Depression, Gewalt, Sozialkämpfe, Ausbeutung oder Rassismus, alles wird in ebenso reflektierte wie lyrisch großartig erzählte Geschichten gepackt, die einen immer wieder frieren lassen. Gepackt wird das ganze in ein ebenfalls verblüffend weites Musikgewand, das vom Sunshine-Clubsound ("Berlin wird dich töten") über Minimal-Balladen ("Grabstein") oder großartigen Bizarr-Rap ("2001") bis zum Postwave ("Jahrmarkt", genial mit Kraftklubs Steffen Israel an der Gitarre!) reicht.

Kurz: Die gern als "Punks der Hip-Hop-Szene" bezeichneten Berliner schaffen es, sich ein weiteres Mal komplett neu zu definieren, ohne dabei das zu opfern, für das die Szene sie seit Jahren feiert. Dort gibt es ja die steile These, dass es seit dem Streamingzeitalter nicht nur keine wirklich langlebigen Karrieren mehr gibt, sondern auch, dass das Künstlerisch-Individuelle, das in den Nullern große Karrieren zündete, darin verloren geht.

K.I.Z. ist jedoch die perfekte Gegenthese. Die Band ist Kind der Nuller aus der zweiten Deutschrap-Welle, ein Konter zur ersten aus den 90ern, als Bands aus Süddeutschland (Fantas) und Hamburg (Brote) versucht hatten, auf eher ulkige Weise ihre amerikanischen Rap-Vorbilder in die deutsche Mittelschicht zu adaptieren. Es gab da zwar einige Lichtblicke wie Samy Deluxe aus Hamburg oder Azad aus Frankfurt, aber das goldene Zeitalter des Deutschrap sollte in Berlin starten.

Hip-Hop wurde dort ab 1999 um Labels wie Aggro und Royal Bunker wieder im Ursprungssinn zur Musik des kleinen Mannes. Kool Savas erschien auf der Bildfläche, Sohn eines türkischen, politischen Aktivisten, der sehr ausgefeilt und präzise rappte. Bushido, der Jugendliche mit Migrationshintergrund abholte - oder Sido, der den klassischen Wohnblock-Proletarier skizzierte.

An alle Grenzen

K.I.Z. waren da gleichermaßen mittendrin wie radikaler Gegenentwurf: Das Trio fabrizierte eine Mischung aus fies-sarkastischem Straßenrap mit teils sozialkritischen und politischen Inhalten, aber mit abgesägtem Zeigefinger. Der Startschuss folgte mit dem Mixtape "Böhse Enkelz", auf dem unter anderem Szeneklassiker verulkt wurden. (Aus dem "Liebeslied" der Absoluten Beginner wurde das "Riesenglied".) Auf den Alben "Hahnenkampf" (2007), "Sexismus gegen Rechts" (2009) und "Urlaub fürs Gehirn" (2011) drehte K.I.Z. die Schraube immer weiter - und endete letztendlich im Projekt "Ganz Oben", auf dem Songs wie "Ich bin Adolf Hitler" oder "Ficki, Ficki" die Möglichkeiten des selbst kreierten Genres bis in alle Schmerzgrenzenwinkel austesteten, aber eben auch in steigenden kommerziellen Erfolg verwandelte, da die Band nicht nur für Hip-Hop-Fans interessant war - man sammelte Goldene Schallplatten und Preise.

Der große Durchbruch sollte mit "Hurra die Welt geht unter" (2015) kommen, welches eine ernsthafte Großkritik an vielen gesellschaftlichen und politischen Phänomenen auffährt und der Band viel Respekt einbrachte abseits der kruden Party-Floors, wo finstere Skurrilitäten wie "Ein Affe und ein Pferd" gefeiert wurden. Fans der ersten Stunde, welche den Vorwurf der "Kommerzialität" erheben, werden auf dieser Basis mit dem Doppelschlag "K.I.Z und das Geheimnis der unbeglichenen Bordellrechnung" (2020) und "Rap über Hass" (2021) gesalbt - hier krachen die neuen Inhalte wieder in die alte K.I.Z.-Sprache.

Eigener Hang zum Narzissmus

Wer die subkutane Wucht von "Görlitzer Park" verstehen will, muss diesen Weg vielleicht kennen, denn er erklärt die Eindringlichkeit, die die Gruppe allein mit dem Weglassen der üblichen Ironie auslöst. Erstmals zeigen sich die drei Musiker erstaunlich persönlich, jeder gibt Einblicke in seine echte Straßen-Zeit vor dem Erfolg, was wie nebenbei auch viel aus der bisherigen Bandgeschichte erhellt. Denn die Hip-Hop-Szene wird dominiert durch Persönlichkeitsbilder, die oft Stärke repräsentieren und selten Versagen oder Schwäche zulassen.

Nach all den Jahren der Provokationen und politischen Statements brechen K.I.Z. mit diesen Klischees und sprechen über den eigenen Hang zum Narzissmus, die unschöne Jugend als Außenseiter und den freundschaftlichen und familiären Verlusten. Und mit "Frieden" beschenken sie uns vielleicht mit dem besten Stück deutscher Anti-Kriegslyrik der Nachwendezeit.

Auch diesmal gibt es mit "K.I.Z. und der Anschlag auf die U8" ein "Album zum Album" - das diesmal tatsächlich aus der schattigen Nische kommt und den Untergrund mit vielen Skurrilitäten und Halbfertigkeiten, aber auch Brechern ("Illuminati", "Bundeswehr") erfreut. Womit sich das Verhältnis umgekehrt hat: Beim Vorgänger "Rap über Hass" war die "Unbeglichene Bordellrechnung" in ihrer überschäumenden Reim-Drastik noch klar das bessere Album gewesen.

 

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