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Zu Gast bei Sisi und Conchita Wurst: Wie Bad Ischl als Kulturhauptstadt 2024 tickt

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Erstmals trägt ein alpiner Raum in Österreich den Titel Kulturhauptstadt Europas. Im Mittelpunkt steht Bad Ischl, die "Kaiserstadt". Auf Elisabeth-und-Franz-Joseph-Tourismus prallt nun eine zweite Elisabeth mit Kunst und Conchita. Es rumort. Ein Besuch.

Kulturhauptstadt in Österreich.

Auf Elisabeth - genannt Sisi - und ihren Kaiser ist Verlass. Seit langem ziehen sie Touristen nach Bad Ischl. Der Ort ist nicht zu verwechseln mit Ischgl. Ischgl hat kein Bad vor seinem Namen, dafür ein g vorm l. Es ist berühmt-berüchtigt für seine Après-Ski-Partys und das Coronavirus, das sich 2020 auch von hier aus aufmachte, Europa lahmzulegen. In Bad Ischl hingegen, 50 Kilometer von Salzburg entfernt, halten Sisi und der Kaiser das Zepter in der Hand. Bis kürzlich eine neue Elisabeth kam und sich das Zepter schnappte. Das gefällt nicht jedem. "Mir san mir und brauch'n niemand anderes", hat einer aus der Region zu Elisabeth der Zweiten gesagt.

In Bad Ischl haben sich 1853 Kaiser Franz Joseph und Sisi verlobt. Hier hat der Kaiser regelmäßig in der Kaiservilla seine Sommer verbracht. Hier hat er 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben und so den Ersten Weltkrieg in Gang gesetzt.

Und hier wird des Kaisers Geburtstag am 18. August noch immer gefeiert! Obwohl er doch längst tot ist. "Da herrscht eine Woche Ausnahmezustand", sagt ein Gästeführer in der Kaiservilla. Kaisertage mit Kaiserzug, Kaiserfest und Kaisermesse. Das zieht Touristen an. Dazu noch die Landschaft ringsum! Bergpanoramen, mit Schnee bedeckte Gipfel, glasklare Flüsse, weite Seen. Bad Ischl mit seinen 14.000 Einwohnern verbucht 370.000 Übernachtungen im Jahr. Da könnte man meinen, ein Problem mit Touristen hat Bad Ischl nicht - im Gegensatz zu Chemnitz, der Kulturhauptstadt im kommenden Jahr. Aber ganz so ist es nicht.

Wenn Wirtshäuser sterben und Touristen Orte überrennen

Mit Bad Ischl und dem Salzkammergut hat für dieses Jahr erstmals ein alpiner Raum mit 23 Gemeinden ohne Großstadt den Kulturhauptstadttitel erhalten. Auf die zuckerbestreute, zentnerschwere Historie um Franz Joseph und Elisabeth-Sisi trifft nun die zweite Elisabeth. Elisabeth Schweeger: Wienerin, Jahrgang 1954, studierte Literaturwissenschaftlerin und Philosophin. Sie arbeitete unter anderem als Kulturmanagerin, auch als Dramaturgin und Kuratorin, darunter bei der Documenta, der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst in Kassel. Moderne, Feminismus, Avantgarde - für diese Frau, die gern eine markante Haartolle trägt, keine Fremdwörter. 2021 hat sie die künstlerische Leitung der Kulturhauptstadt Bad Ischl übernommen. Manche nennen sie arrogant, Vertreterin einer Hochkultur, die das traditionelle Bad Ischl und seine Umgebung nicht brauche. Die Geschichte mit dem Mir-san-mir-Mann aus der Region erzählt sie selbst.

Während Chemnitz mithilfe des Kulturhauptstadttitels für Touristen bekannter werden will und Projekte als Katalysator für die Stadtentwicklung initiiert, liegt der Fokus in Bad Ischl und im Salzkammergut auf der Entwicklung des ländlichen Raums. Wie lässt sich nachhaltig wirtschaften, nachhaltig bauen, nachhaltig leben in Zeiten des Klimawandels, der hier Schnee und Gletscher schmelzen lässt? Wie lassen sich die Jungen halten? Wie lässt sich das Wirtshaussterben bremsen? Und wie lassen sich die Touristenströme lenken? So, dass sie sich über das ganze Jahr und das gesamte Salzkammergut verteilen, statt sich im Sommer und teils im Winter oder in einzelnen Orten zu ballen. Im postkartenschönen Hallstatt mit etwa 800 Einwohnern kommen Schätzungen mittlerweile auf viele hunderttausende Touristen jährlich, manche sprechen von weit über einer Million. Hier ist der Kampf mit dem "Overtourismus" längst ausgebrochen. Klein-Venedig in Österreich.

Der Auftritt von Conchita Wurst

Das Kulturhauptstadtjahr soll aber auch zeigen, welches Potenzial in den Menschen dieser Region steckt. Deshalb trat am Eröffnungswochenende im Januar Conchita auf: Thomas Neuwirth, Musiker, queere Diva und als Conchita Wurst 2014 Siegerin des Eurovision Song Contest. Neuwirth wurde hier um die Ecke in Gmunden geboren, im steirischen Bad Mitterndorf wuchs er auf. Damals dort ein queeres Kind zu sein, sei für ihn traumatisierend gewesen, erzählt er in einem Interview in "23 für 24", dem Magazin der Kulturhauptstadt.

Er habe sich nicht wohlgefühlt, zog mit 14 Jahren nach Graz. Doch das ländliche Österreich holte ihn wieder ein: Er wurde eingeladen, Teil des Komitees der Kulturhauptstadt zu sein und trat zur Eröffnung als Sängerin Conchita in großer Robe auf. Er habe sich mit seiner Heimat neu befasst. Und erkannt, dass vieles von ihr auch in ihm stecke. Er liebe die "Dramatik der Folklore", die "Mystik des Brauchtums", die "Verbundenheit zur Erde". Kirchenglasfenster, Stickereien, Orgeln, Chorgesänge - liebt er auch. "Kurz gesagt, in allem, was für mich einst sehr negativ konnotiert war, habe ich mittlerweile auch Benefits entdeckt. Das hat mich sehr inspiriert", sagt er weiter. Wobei seine Zusage zur Mitarbeit anfangs auch eine Trotzreaktion gewesen sei: "Wir Queeren sind Teil der Gesellschaft, ob ihr es wollt oder nicht - here we are! Und zwar so laut und auffällig wie möglich."

Pinker Kreuzstich für Feministinnen

Auffälligkeiten können Besucher in Bad Ischl heute schnell bemerken. An der östlichen Fassade des Postgebäudes hängen an ein Baugerüst montierte Staubschutznetze, auf denen in pinkem Kreuzstich gestickt steht: "Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feminist:in." Frei übersetzt: Solange alles bleibt, weil es immer schon so war, bin ich Feminist:in.

Es ist eine selbstbewusste Aussage, und sie ist strategisch gut platziert. Ist man im kleinen Bad Ischl unterwegs, kommt man zigmal an dieser Fassade vorbei. Das erhöht die Chance, irgendwann über diesen Satz nachzudenken. So wäre es gewollt: Die österreichische Künstlerin Katharina Cibulka, von der die Installation für die Kulturhauptstadt stammt, will durch derartige Botschaften Passanten zu Diskussionen anregen.

Architektur außer Rand und Band

An der entgegengesetzten Seite befindet sich der Eingang zum Postamt. Der einzig sichtbare Angestellte scheint hinter seinem Schalter etwas zu zählen. Beim Herannahen der Besucherin stellt er flugs ein Schild auf: Auskunft werde am nächsten freien Schalter erteilt. Da ist zwar keiner, aber ein Kollege kommt aus einem Nebenzimmer und fragt, wie er helfen kann. Gibt es hier neben dem "Solange"-Bild nicht noch eine andere Intervention im Zuge der Kulturhauptstadt? "Ja, einmal ums Haus, dort sehen Sie die Tür", sagt er. Hinter jener Tür eröffnet sich ein Lichthof, in dem man den "Luv Birds in toten Winkeln" begegnet, eine Installation der slowenisch-österreichischen Künstlerin Maruša Sagadin.

Sie nimmt architektonische Elemente wie Säulen und Bänke und verfremdet sie mit Farbe und Formen. Gelbe Bänke ruhen statt auf geraden Beinen auf putzigen Stiefelchen, eine Säule mit gelben Birnenfiguren wird zur Laterne, andere Säulen haben blaue Nasen. Als habe sich hier Architektur durch Zaubertrunk verwandelt, als beginne sie plötzlich quietschvergnügt ein Eigenleben. Oder als habe jemand ein Fenster aufgerissen und der Luftzug alles durcheinandergebracht. Wobei die Luft im Treppenaufgang des Hauses wieder stickiger wird. Ein Schild an der Wand besagt: Unter Kaiser Franz Joseph erbaut im Jahre 1895. Ihm entkommt man hier nicht.

Die Vergangenheit in der Kaiservilla

Die Kaiservilla thront auf einer kleinen Anhöhe überm Ort. In der Villa - besser: in dem kleinen Schloss - können Besucher einen Blick ins Studierzimmer von Sisi werfen oder in all die Säle, in denen sich der Kaiser während seiner Sommeraufenthalte mit anderen Titelträgern und Politikern beriet. Für Menschen mit viel Achtsamkeit dürfte eine Tour durch die Kaiservilla eine Tortur sein. Ständig passiert man Wände mit Geweihen oder Regale und Podeste mit präparierten Tieren - der Kaiser soll mehrere zehntausend erlegt haben.

Oder nehmen wir die Geschichte von Rudolf, dem Sohn von Franz Joseph und Sisi, auf die der Gästeführer eingeht. Rudolf war vieles: ein eher liberaler Geist, ein Melancholiker, ein Nachtschwärmer, untreuer Ehemann. Er tötete seine junge Geliebte - und dann sich selbst, als er 30 war. Die Geliebte soll in den Tod eingewilligt haben, wobei bis heute nicht ganz klar zu sein scheint, was wirklich passierte. Ein Fall toxischer Männlichkeit? Der Gästeführer formuliert das so nicht. Und es hallen einem die Staubschutznetze nach: Solange alles bleibt, weil es immer schon so war, bin ich Feminist:in.

Ein viel gehörter Satz: Dazu kann ich keinen Kommentar abgeben

Vom Aufreißen der Fenster, vom Kulturhauptstadtprojekt ist hier nicht jeder begeistert. "Dazu kann ich keinen Kommentar geben", sagt eine Frau, die um keinen Fall in der Zeitung erkennbar sein will. "Ich komme in Teufels Küche, wenn ich etwas Negatives sage." Das verwundert, da Bad Ischl nicht Teil eines autoritären Staates ist. Wer soll denn da der Teufel sein? Elisabeth die Zweite, pardon: Elisabeth Schweeger?

Die ist Widerspruch gewohnt. Der Mann, der zu ihr kam und meinte, sie bräuchten niemand anderes, war ja nicht der einzige. Es gab und gibt hier Diskussionen, die an Chemnitz erinnern. Wann geht denn mal was los? Man sieht gar nichts! Was hat diese Kunst mit uns zu tun? Wir Einheimischen werden nicht einbezogen!

Ein Mitarbeiter in einem Restaurant in Bad Ischl, der sich Philipp nennt und ebenfalls nicht in der Zeitung identifizierbar sein will, sagt zum Kulturhauptstadtjahr: "Eine Katastrophe!" Warum? "Es wird zu wenig kommuniziert, was wo stattfindet und wie man dahin kommt. Ohne Auto ist man aufgeschmissen. Wenn da abends eine Veranstaltung irgendwo in der Region stattfindet, kommt man ja nicht mehr zurück!" Ob er spürt, in einer Kulturhauptstadt zu arbeiten? Philipp schüttelt den Kopf. "Business as usual."

Ein paar Zahlen scheinen allerdings in Philipps Rechnung zu fehlen. Zum Eröffnungswochenende kamen immerhin über 70.000 Besucher nach Bad Ischl. Und seit dem Start hat es laut Schweeger bisher - in den touristenarmen Monaten des ersten Quartals - einen Zuwachs an Besuchern von 17 Prozent in der Region gegeben.

Sabine Eisl, Verkäuferin in einem Bäckerladen, sagt zwar auch, sie spüre hier noch nicht wirklich viel von Kulturhauptstadt, aber an sich finde sie das Projekt gut. "Es werden auch Leute zu uns kommen, die sonst nicht gekommen wären und später vielleicht auch ein zweites Mal zurückkehren, weil es ihnen gut gefallen hat." Sie freue sich über Touristen, "sie sorgen für unsere Arbeitsplätze".

Zimmer mit Aussicht

Und Gäste, die länger als einen Tag bleiben, brauchen einen Platz zum Übernachten. Ein Zimmer mit Aussicht vielleicht, so heißt ein weiteres Projekt der Kulturhauptstadt. Eine Präsentation dazu kann man sich gegenüber der Post in der historischen Trinkhalle - entgegen möglicher Assoziationen ist das heute ein Informations- und Veranstaltungszentrum - anschauen.

Designer haben sich für das Salzkammergut typische Themen, Materialien und Handwerkstechniken ausgesucht, daraus Einrichtungsgegenstände gestaltet, mit denen sie einige Gästezimmer der Region ausgestattet haben. Ein spezielles Gras beispielsweise findet sich in der Deckenlampe wieder, mit der Technik des Brettschnitts wurden Rückenlehnen von Sitzbänken verziert oder das Thema Jagd behutsam aufgegriffen und Spiegel mit Motiven des Waldes als Heimat der Tiere gestaltet. Hier soll zum langsamen Reisen angeregt werden, dazu, sich tatsächlich mit der Region zu beschäftigen.

Eines dieser Zimmer gibt es auch im Sonnhof, einem Selbstversorgerhotel in Bad Ischl. Will man an diesem Dienstag im März einen Blick hineinwerfen, steht man vor verschlossenen Türen. Es hängt ein Schild dort: "Wegen Reichtum geschlossen". Aha. Und noch ein Zettel mit einer Telefonnummer bei Fragen. Am Telefon meldet sich Christian Hrovat, der den Sonnhof leitet. Das "Zimmer mit Aussicht" funktioniere ganz gut, "da rufen schon Leute an, die das buchen wollen. Aber wenn Sie Näheres zur Kulturhauptstadt wissen wollen, fragen Sie mal meine Schwägerin." Die finde man ein paar Straßen weiter im Laden "Hrovat's".

Der kritische Buchhändler

Auf dem Weg dorthin kann man an einer Buchhandlung mit Café namens "Kurdirektion" vorbeikommen. Große Glasfront, dahinter reihenweise Bücher, ein paar Stühle, Tischchen, eine kleine Theke. Hinter der steht eine Mitarbeiterin, an einem Computer sitzt eine zweite. Fragt man sie, wie es ist, in einer Kulturhauptstadt zu leben, lächeln beide schweigend. Die Frau hinter der Theke sagt: "Dazu möchte ich nichts sagen." Die andere: "Ich auch nicht." Warum denn nicht? Die Frau hinter der Theke sagt: "Wir wollen uns hier in diesem Ort gegenseitig in Frieden lassen." Aber ist es nicht im Sinne der Kulturhauptstadt, gemeinsam etwas zu machen, auch zu kritisieren und zusammen zu schauen, wie etwas besser werden kann? "Fragen Sie unseren Chef", sagt die Dame hinter der Theke.

Der Chef, pinkes Shirt, schwarzes Baseballcap auf den Locken, kommt gerade zur Tür herein. Alexander de Goederen ist nicht nur Buchhändler, er war schon Gründer einer Literaturzeitschrift, arbeitet auch als Produzent und Verleger österreichischer Musiker und Musiklabels. Er ist in Bad Ischl aufgewachsen, später nach Wien gezogen, vor vier Jahren kam er zurück in die Heimat, vor einem Jahr eröffnete er die Buchhandlung. Er sei müde gewesen von Wien - und fand das Kulturhauptstadtprojekt in seiner Heimat gut.

Aber es sei nicht so aufgegangen, wie er sich das gedacht hatte: dass wirklich die ganze Region im Fokus stehe und dass eine Gruppe von Leuten aus der Region die Geschicke leite. Er ist einer der Kritiker Elisabeth Schweegers. Sie sei bekannt für ihren autoritären Stil, die Kulturhauptstadt habe mit ihr - auch schon mit ihrem Vorgänger - an Bodenhaftung verloren. "Es gibt viel Klärungsbedarf, darüber will nur keiner öffentlich reden, weil es in einem kleinen Ort wie diesem viele Abhängigkeiten gibt", behauptet de Goederen.

Ein Problem sei, dass in der Region Gebäude von Kulturinstitutionen saniert und technisch auf den neusten Stand gebracht werden müssten. "Solche Dinge werden aber nicht angegangen, auch nicht, dass Bad Ischl keine Galerie hat, kein Museum für zeitgenössische Kunst." Er selbst hatte zwei Projekte eingereicht, zwei Theateraufführungen. Aber beide seien seitens der Kulturhauptstadt abgelehnt worden, sagt de Goederen.

Institutionen und Kulturarbeiter vor Ort seien auch kaum eingebunden. "Die Leute hier fühlen sich durch den Tourismus sowieso schon an den Rand gedrängt. Wo sie früher fachmännisch Holz zum Feuern und Bauen aus dem Wald holten, ist der jetzt für Mountainbiker abgesperrt. Und an den Seen verschließen die Hotels die Zugänge für die Allgemeinheit. Die Leute von hier sollen trotzdem für Touristen alles schön herausputzen und dann noch über die Kulturhauptstadt jubeln - das funktioniert nicht."

Reibung als Demokratieverständnis

Schweeger macht keinen Hehl daraus, dass es ihr die Gemeinden nicht leicht machen, die seien "sehr eigenwillig, eigensinnig und widerständig", zitierte sie der "Standard", eine österreichische Zeitung. Aber Schweeger scheint das sportlich zu nehmen: Reibung sei auch ein Vorteil, Streitgespräche gehörten zum demokratischen Prinzip. Zudem: 85 Prozent der Projekte seien in der Region entwickelt und würden mit Menschen aus der Region auf die Beine gestellt.

Und die Projektvorhaben von de Goederen seien auch nicht abgelehnt worden, er habe nur mehr finanzielle Förderung haben wollen, als man ihm hätte geben können, deshalb habe er das Projekt zurückgezogen, sagt Schweeger der "Freien Presse". "Aber er betreibt eine großartige Buchhandlung mit wertvollen Veranstaltungen und nimmt damit eigentlich den Kulturhauptstadtgedanken auf." Ein Gedanke, der ja dazu animieren will, dass Einwohner die Dinge auch selbst in die Hand nehmen.

Auch würden durchaus Gebäude nach 2024 saniert, zum Beispiel das leerstehende Lehártheater in Bad Ischl, ein altes Filmtheater. In dem wird derzeit als Kulturhauptstadtprojekt die aus den 1920ern stammende Komposition "Ballet Mécanique" mit einem Maschinenorchester aufgeführt, das unter anderem mit Klavieren, Schlagzeugen, Klingeln, Sirenen, Xylophonen und mithilfe eines Computers automatisch spielt. Es wird auch Projekte in leerstehenden Bahnhofsgebäuden geben. Und überhaupt: Das Veranstaltungsbuch für das gesamte Jahr ist ziegeldick. Immerhin sagt de Goederen auch, dass nicht alles schlecht sei. Die Ausstellung im Alten Sudhaus etwa sei "sehr gelungen".

Zeitgenössische Kunst im Alten Sudhaus

In dem leerstehenden Gebäude findet die zentrale Kunstausstellung der Kulturhauptstadt statt. Sie trägt den Titel "Sudhaus - Kunst mit Salz & Wasser", zeigt zeitgenössische Kunst, darunter vor allem Videos und Installationen, die sich oft mit dem Klimawandel, der Gletscherschmelze, aber auch mit Salz befassen. Seit 7000 Jahren wird in der Region Salz abgebaut, bis heute. Im Sudhaus in Bad Ischl wurde einst aus Solen, der wässrigen Lösung von Salzen, das Salz gewonnen. Nun ist das Sudhaus eine der eher wenigen Brachen in Bad Ischl. Für die Ausstellung wurde es notdürftig hergerichtet, der Charme des Verfalls ist geblieben, etwa so, wie man das vom Chemnitzer Kunstfestival "Begehungen" kennt. Das Sudhaus soll nach dem Kulturhauptstadtjahr zu einem Kulturhaus umgebaut werden.

Der ehemalige Innenminister als Hotelbesitzer

Es gibt in Bad Ischl aber auch Menschen, die diplomatiefähig zu sein scheinen. Zum Beispiel Ernst Strasser, der mit seiner Frau - auch eine Elisabeth - das Hotel "Hubertushof" führt, eines der Traditionshäuser, wie man hier sagt. Das mit der Diplomatiefähigkeit könnte bei Strasser mit seiner Vergangenheit zusammenhängen.

Er war Politiker, sogar mal Innenminister von Österreich, später EU-Parlamentarier, fiel dann über eine Korruptionsaffäre. Vor ein paar Jahren hat er das Hotel gekauft. "Das mit der Kulturhauptstadt muss man differenziert sehen", sagt er bei einem Telefonat. Bei der Bewerbung seien sich alle einig gewesen, dass der Titel eine tolle Sache wäre. Umso größer war die Euphorie, als er Bad Ischl tatsächlich verliehen wurde. "Aber danach folgte eine schnelle Ernüchterung." Viele hätten gedacht, dass das Brauchtum der Region nun in die Welt getragen werde, aber darauf sei viel zu wenig eingegangen worden. Elisabeth Schweeger habe "eine eigenwillige Art und Weise", mit den Leuten umzugehen, sie vor den Kopf zu stoßen. Bei vielen sei so der Eindruck entstanden: Hier sind Leute am Werk, die keine Ahnung von dem haben, was hier gelebt wird.

"Von der Außensicht aber ist die Kulturhauptstadt ein ungeheurer Gewinn", sagt Strasser. So wie Tirol oder Toskana eine Marke seien, könne das Jahr helfen, die Marke Salzkammergut bekannter zu machen. Gaststätten und Hotels profitierten bereits. "Es kommen Leute, die wir vorher mit dem Kaiser und der Landschaft nicht erreicht haben: kulturell Interessierte, Intellektuelle und auch ein paar Jüngere." Die seien aktiv und neugierig, und da gebe es auch in den Gemeinden Ausstellungen und Veranstaltungen zu entdecken. Ihm sei egal, sagt Strasser, warum jemand in die Region komme. "Was zählt ist, dass wir neben der Kulturhauptstadt mit unserer Landschaft und der Geschichte so viel zu bieten haben, dass alle begeistert sind, aus welchem Grund sie ursprünglich auch hergekommen sind."

Eine Bad Ischlerin als Kulturhauptstadtfan mit Reiseplänen für Chemnitz

Und dann war ja noch das "Hrovat's"-Lädchen, in dem es von Kaffee über Bücher bis Seifen alles zu geben scheint und das von der Unternehmerin Barbara Hrovat-Forstinger betrieben wird. Sie mag Deutschland, ist begeistert von Berlin, Hamburg, Köln, Dresden. Auch in Chemnitz war sie schon, aber nur einen Tag. Wie ihr die Stadt gefallen hat? "Ich hatte den Eindruck, dass es dort sehr viel Industriegeschichte gibt, aber die Stadt wirkte nicht sehr charmant."

Der Witz: Sie will trotzdem wiederkommen. Weil sie Kulturhauptstadtfan ist. So wollte sie beim European Peace Ride mitradeln, der an der Internationalen Friedensfahrt angelehnten Radsportveranstaltung, die in diesem September von Bad Ischl über knapp 600 Kilometer nach Chemnitz führen wird. Allerdings sei die Nachfrage so groß, dass sie anderen den Vortritt lasse und und nun plane, etwas später 2025 im Kulturhauptstadtjahr nach Chemnitz zu kommen.

Hrovat-Forstinger hat einst Betriebswirtschaft studiert und dann in der Kulturbranche gearbeitet. Vor über 25 Jahren habe sie das Kulturleben in Gmünd in Kärnten mit aufgebaut. "Wir holten Künstler in den Ort, richteten Ateliers ein, organisierten Ausstellungen. Ich hab da am Anfang alles erlebt, wurde stark angefeindet." Heute findet man im Internet wie selbstverständlich die "Künstlerstadt Gmünd", demnächst wird dort Chagall ausgestellt. "Aber es hat viele, viele Jahre gedauert. Die Dinge brauchen Zeit."

Das, so ist sie überzeugt, werde auch bei der Kulturhauptstadt so sein: Das Salzkammergut werde sich als Imagebild verstetigen. Schon jetzt habe sie seit Januar einen Umsatzzuwachs von etwa 10 bis 20 Prozent verzeichnet. "Das Eröffnungswochenende war ein Geschenk. Es herrschte so ein toller Spirit, da wurde Bad Ischl wachgeküsst." Zwar würden Gastronomen bis heute fragen, wann denn die meisten Leute kommen werden. Hrovat-Forstinger hält dann das ziegelsteindicke Veranstaltungsbuch hoch: "Da muss man doch nur mal reingucken und kann sich das dann selbst ausrechnen."

Sie jedenfalls sei eine totale Befürworterin des Kulturhauptstadtjahres. Schon allein die Auseinandersetzung der Einwohner mit sich selbst, ihrem Ort, den Traditionen und der Zukunft "macht was mit ihnen, da muss auch nicht jeder alles befürworten". Aber man beginne, über Themen vor der eigenen Haustür nachzudenken, vielleicht auch zu überlegen, was man selbst anstoßen könnte. "Und die Schweeger macht das richtig toll. Sie kämpft wie eine Löwin."

Und so richtet sich der Scheinwerfer nicht mehr allein auf Sisi und den Kaiser, sondern auch auf die Zukunft.

freiepresse.de/kulturhauptstadt

salzkammergut-2024.at

Ein Interview mit Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Bad Ischl/Salzkammergut, finden Sie hier

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