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Warum die Ehe veraltet ist – und ich trotzdem heirate

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Die Ehe hat ein angestaubtes Image, trotzdem feiert sie in Sachsen derzeit ein Comeback. Das Missverhältnis zwischen Ruf und Quote erlebt unsere Autorin selbst – und kann ihn erklären. Ein Essay.

Bei uns ist es im Urlaub passiert. Er hatte eine gute Vorstellung davon, wie ich mir eine Verlobung vorstelle: nicht öffentlich und ohne Knien, ohne unnötige Nervosität. Also: Das weihnachtliche London, kein Regen, ein schniekes Hotelzimmer. Mein 16-jähriges Ich hätte bei der Vorstellung entzückt gequiekt. Und trotzdem war mein erster Gedanke: Nein. Bloß nicht. Schnappatmung.

Immerhin wird jede dritte Ehe in Deutschland geschieden. Das Wort „lebenslang“ wird daher seit Jahren mit einem Fragezeichen versehen. Meine eigene familiäre Statistik sieht noch schlechter aus: Einzig ein Großelternpaar und ein Cousin sind glücklich in erster Ehe verheiratet. Onkel, Eltern und Tanten haben sich erfolgreich scheiden lassen oder sind nie eine langfristige Beziehung eingegangen.

Lange dachte ich, dass ich genetisch einfach nicht beziehungsfähig sein kann. Dass ein langfristiges Bekenntnis zueinander niemals funktionieren wird und dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, allein glücklich zu sein.

Vielleicht hatte ich gerade wegen dieser egoistischen Einstellung das Glück, jemanden zu finden, mit dem Teamsein nicht zu Abhängigkeit, sondern zu Selbstentfaltung führt.

Ich möchte, dass wir noch enger zusammenwachsen

Der Mann, der mein Verlobter werden wollte, kannte meine Zweifel an langfristigen Beziehungen. Und trotzdem mag ich den grundlegenden Gedanken hinter dem Eheversprechen: Ich möchte, dass wir noch enger zusammenwachsen. Er soll im Krankenhaus ohne Zettelwirtschaft direkt über meinen Zustand informiert werden können. Wenn ich Kinder bekomme, soll er direkt als Vater anerkannt werden. Wir sichern uns gegenseitig ab, falls einer von uns stirbt – entweder als Erbe oder durch eine Hinterbliebenenrente. Gemeinsames Eigentum, zumindest das, was wir nach der Hochzeit anschaffen. Ein geteilter Nachname, auch wenn das bei uns der schwierigste Part wird.

Für die meisten Dinge brauchen wir keine Ehe, nur einige Verträge und rechtliche Absicherungen. Romantische Begriffe wie Informationsvollmacht, Stiefkindadoption und Testament liest man da im Internet. Anderes, wie die Witwenrente, geht ohne Hochzeit gar nicht.

Ehe, das hieß früher: Ein Besitz wechselt den Besitzer

Das Wort „Ehe“ kommt aus dem Alt- oder Mittelhochdeutschen und bedeutet „Gesetz“. Zunächst wurden Ehen zwischen Sippen ausgehandelt: Eine Frau wurde gegen einen gewissen Geldbetrag von einer Familie zur anderen gegeben. Auch heute gibt es noch die Tradition, bei der der Vater die Braut an den Zukünftigen übergibt – Besitz wechselt den Besitzer. Später schaltete sich die Kirche ein und entschied, dass nur noch mit kirchlichem Segen geheiratet werden durfte. Nach der Aufklärung beschloss der Staat, dass ein Standesbeamter bei der Eheschließung anwesend sein muss.

Schon länger geht es bei der Ehe aber nicht mehr um Besitz oder um Macht. Menschen wollen aus Liebe heiraten. Trotzdem sind gesetzliche und finanzielle Vorteile laut einer YouGov-Umfrage für mehr als 20 Prozent der Befragten ein wichtiger Grund, sich das Jawort zu geben. Und laut einer Parship-Studie erwägen 37 Prozent der 18- bis 19-Jährigen eine Ehe aus finanziellen Gründen. Nicht wirklich sexy, dafür wirtschaftlich smart: Männer verdienen immer noch mehr, runtergerechnet etwa sechs Prozent. Andererseits gehen Männer, die sich durch die Ehe abgesichert fühlen, größere Risiken im Beruf ein. Oft wird das mit Erfolg belohnt – und bedeutet ein größeres Einkommen für den Familienverbund. Eine Win-Win-Situation.

„Wenn du ein Mann bist, solltest du wahrscheinlich heiraten. Wenn du eine Frau bist, vergiss es“

Genauer betrachtet drückt die Ehe die Geschlechter wieder in ihre traditionellen Rollenbilder. Finanzielle Sicherheit ist also nicht der beste Grund, um zu heiraten. Zumal unverheiratete Frauen ohne Kinder am glücklichsten sind, wie der Verhaltensforscher Paul Dolan herausfand. Sie sind seltener krank, sowohl mental als auch körperlich. Oder wie Dolan es ausdrückte: „Wenn du ein Mann bist, solltest du wahrscheinlich heiraten. Wenn du eine Frau bist, vergiss es.“

Dabei zahlt sich die Ehe auch auf gesetzlicher Ebene aus: Familie und Ehe sind im Grundgesetz besonders geschützt. Der Gesetzgeber nimmt an, dass ohne Ehe keine Kinder und eine Ehe ohne Kinder nicht möglich sind. Eine künstliche Befruchtung zum Beispiel wird bei Eheleuten zum Teil von der Krankenkasse übernommen, Unverheiratete hingegen müssen selbst zahlen.

Dazu kommt das Ehegattensplitting: Damit genießen Verheiratete steuerliche Vorteile, insbesondere wenn der Unterschied in den Einkommen groß ist. Auf dem Papier soll das ein Ausgleich für unbezahlte Care-Arbeit bei Paaren mit Kindern sein. Im echten Leben sieht das oft anders aus: Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen liegt in Deutschland noch immer bei etwa 18 Prozent. Statistisch gesehen arbeiten Männer in besser bezahlten Branchen, haben höhere Abschlüsse, verhandeln Gehälter oft selbstsicherer als Frauen. Wird das herausgerechnet, bleiben sechs Prozent Unterschied.

Vielleicht gäbe es mehr weibliche Führungskräfte und der Lohnunterschied würde kleiner werden, wenn verheiratete Paare nicht gesetzlich bevorzugt werden würden. Und vielleicht wäre die Ehe auch nicht so ungerecht gegenüber Frauen und Unverheirateten, wenn Frauen statistisch besser bezahlt werden würden. So aber begünstigt das Ehegattensplitting vor allem traditionelle Familienmodelle. Die Ehe und ihre Steuervorteile sind oft ein Rückschritt bei der Gleichstellung der Geschlechter.

Ehefrauen: Gefährdet und unglücklich

In unserem Fall ist der Lohnunterschied mit etwa 25 Prozent sogar noch stärker, bedingt durch Branchenwahl und Bildungsgrad. Sobald Kinder da sind, wollen wir die Arbeit gleichmäßig aufteilen, so wie wir es jetzt schon tun. Zwischen „wir arbeiten beide 30 Stunden“ und „ich mache Teil- und er Vollzeit“ liegen jährlich jedoch etwa 3000 Euro. Das könnte der Familienurlaub sein. Wenn meine statt seiner Karriere im Fokus steht, fehlen schlappe 6000 Euro, ein gebrauchter Kleinwagen. Gleichberechtigung bekommt damit einen Preis, den wir bereit sein müssen zu zahlen, egal wie stark unsere Liebe ist.

Als Frauen noch Besitztümer waren, wurde auch nicht aus Liebe geheiratet. Je mehr sie als eigenständige Personen behandelt wurden, desto relevanter wurden auch Gefühle in der Familie. Wer also die Liebe im Zentrum seiner Beziehung stehen haben möchte, muss dafür sorgen, dass Macht gleich verteilt ist. Macht ist nicht, wenn die Frau sagt, dass der Herr doch bitte den Müll rausbringen soll – das ist Mental Load. Macht zeigt sich vor allem finanziell. Sie kann aber auch körperlich werden.

Immer noch ist die gefährlichste Person für eine Frau der Mann im eigenen Haushalt: Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. In der Kriminalstatistik werden solche Fälle als Partnerschaftsgewalt geführt. Die zeigt auch, dass es nach einer Hochzeit häufiger zur Gewalt in einer Beziehung kommt. Noch gefährlicher wird es nur, wenn man sich wieder trennt. Es scheint riskant, einen Partner lebenslang an sich zu binden - nicht nur emotional und wirtschaftlich.

Natürlich vertraue ich darauf, dass mein Partner mich nicht schlägt oder unter Druck setzt. Und trotzdem: Immer, wenn diese Zahlen durchs Internet kursieren, höre ich in seinem eigentlich seltenen Schimpfen über andere Autofahrer einen anderen Unterton. Umso fragwürdiger ist es, dass der Staat, der eigentlich schützen soll, mich in einer Art von Beziehung sehen will, die laut Statistik gefährlich für mich ist.

Bringt die Ampel die Lösung?

Gibt es zwischen veralteter Ehe und einem Stapel an Verträgen oder Absprachen mit dem Partner noch eine Alternative? Die Bundesregierung hat sie im Koalitionsvertrag angekündigt und erst im Februar erste Eckpunkte veröffentlicht. Damit soll es möglich werden, unabhängig von Liebesbeziehungen Verantwortung füreinander zu übernehmen. Für Justizminister Buschmann (FDP) könnte das etwas für Rentner-WGs und Mehrgenerationenhäuser sein. Im Eckpunktepapier steht, dass bis zu sechs Personen für so eine Gemeinschaft einen notariell beglaubigt abgeschlossenen Vertrag eingehen können. Genauso leicht lässt sich der wieder lösen. Je nach Art der Gemeinschaft sollen unterschiedliche rechtliche Zugeständnisse gemacht werden können, spezifisch zur Pflege oder zum gemeinsamen Wohnen. Auch hier kann man alle Vorzüge der Verantwortungsgemeinschaft rechtlich auch anders erreichen, aber durch die neue Form sollen Wahlfamilien sich leichter gegenseitig absichern können. Im Herbst soll der Gesetzentwurf ins Bundeskabinett kommen. Eine „Ehe light“ soll das jedoch nicht sein, sondern den Familienbegriff schlicht ergänzen.

Warum ich trotzdem Ja gesagt habe

Vielleicht liegt es daran, dass ich doch zu sehr mit dem Herzen gedacht oder zu viel „Tüll und Tränen“ geschaut habe. Oder auch mal den sagenumwobenen Wow-Moment im Brautmodegeschäft haben will. Vielleicht waren es zu viele Romantische Komödien mit meiner Mama, vielleicht hat auch der Ring so wunderbar gefunkelt. Bewusst war mir: Die Ehe ist aktuell die Form des Zusammenlebens, bei der ich mich trotz der zahlreichen Nachteile am besten wiederfinde. Ich weiß, ich kann meinem Partner vertrauen und weiß, dass ich genug Macht selbst in der Hand habe, um nicht untergraben zu werden. Wie schwer eine Trennung aussieht, wenn die Mutter jahrelang für die Kinder in Teilzeit war, durfte ich aus nächster Nähe beobachten.

Ehe ist nicht nur Anziehung. Fragt man Menschen, die Jahrzehnte zusammenleben und glücklich damit sind, basiert das auf Freundschaft und auf der Arbeit daran, die Liebe am Leben zu erhalten. Ich will meinem Partner genau das versprechen und weiß, dass er das gleiche machen will. Dieses Versprechen wollen wir mit einem Fest feiern, bei dem vermutlich das einzige Mal in unserem Leben unsere Familien und Freunde in diesem Maß zusammenkommen. Dafür braucht es kein Standesamt und keinen Vertrag. Den braucht auch unsere Beziehung nicht, aber da es noch nichts Passenderes als die Ehe gibt, wird sie für uns gut genug sein. (schöj)

Dieser Text ist Teil einer Beitragsreihe. Die Volontäre der „Freien Presse“ haben in einem Projektmonat rund um das Thema „Arbeitsteilung in jungen Familien“ recherchiert. Die Familienporträts, Experten-Interviews, eine Datenanalyse, ein Quiz und die Sicht der jungen Reporter auf das Thema sind auf der Übersichtsseite zu finden. Die Arbeit der Volontäre könnt Ihr auch auf Instagram und Twitter verfolgen.

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