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Müssen so viele Extras bei Kinder-Zahnspangen wirklich sein?

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Jeder zweite Teenager in Sachsen trägt eine Zahnspange. Nicht selten zahlen Eltern mehrere Hundert Euro für Extras dazu. Ob das wirklich gerechtfertigt ist, erklärt Uwe Reich, Kieferorthopäde in Wurzen.

Wurzen.

Schiefe Zähne, Lücken, Überbiss: Wenn die Milchzähne ausfallen, wachsen die bleibenden Zähne oft schief nach. Das führt dann nicht nur dazu, dass sich Kinder und Jugendliche auf Fotos oft ein breites Lächeln verkneifen. Fehlstellungen können auch zum medizinischen Problem werden. Denn ist eine gründliche Pflege wegen eng stehender Zähne schlecht möglich, steigt das Kariesrisiko. Die gute Nachricht: Zähne auf Abwegen lassen sich in aller Regel mit einer Spange an die richtige Stelle bringen. Die schlechte Nachricht: Eltern kommen nicht umhin, sich um die Kosten der Spangenbehandlung Gedanken zu machen.

Wann sollten wir überhaupt mit unserem Kind zum Kieferorthopäden?

Im Alter von neun bis zehn Jahren sollte jedes Kind einmal beim Kieferorthopäden gewesen sein, lautet der Rat der Initiative Pro Dente. So lassen sich behandlungsbedürftige Fehlstellungen frühzeitig erkennen. Die Behandlung selbst beginnt dann in aller Regel im Alter zwischen zehn und 13 Jahren. In Sachsen ist laut einer aktuellen Barmer-Studie inzwischen jedes zweite Kind in kieferorthopädischer Behandlung – mehr Mädchen als Jungen.

Zwei von drei Familien gehen auf Anraten des Zahnarztes mit ihrem Kind zum Kieferorthopäden, wie eine Umfrage der Verbraucherzentrale Bund ergeben hat. Ein Drittel aller Eltern vereinbart den Termin auch allein. Erstaunlich ist: Mehr als jede zweite Familie nannte in der Befragung ästhetische Gründe für ihre Entscheidung. Das heißt, die Kinder haben keine Schmerzen oder Probleme beim Sprechen, Kauen, Beißen oder Atmen, sondern ihr Gebiss könnte einfach schöner aussehen.

Wann trägt die Kasse die Kosten für eine Zahnspangen-Behandlung?

„Bei gesetzlich Versicherten hängt das vom Schweregrad der Zahnfehlstellung ab“, sagt Dr. Uwe Reich, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie mit Praxis in Wurzen. Die Einteilung erfolgt in kieferorthopädischen Indikationsgruppen – kurz KIG. Bei den Schweregraden 1 und 2 gelten die Fehlstellungen als so geringfügig, dass die Kassen die Kosten für eine Zahnspange nicht übernehmen. Bei Grad 3, 4 und 5 bezahlen sie die Korrektur. Voraussetzung dafür ist, der Behandlungsplan wurde vor dem 18. Geburtstag eingereicht.

Allerdings kann es auch bei Fehlstellungen der KIG 2 aus medizinischer Sicht sinnvoll sein, diese korrigieren zu lassen. Familien müssen das dann allerdings komplett selbst zahlen, wie das Portal „Kostenfalle Zahn“ der Verbraucherzentralen erklärt. Der Tipp: Beim Kieferorthopäden nachfragen, welche Risiken bestehen, wenn keine Behandlung durchgeführt wird. Denn oft verlaufen die Grenzen zwischen medizinischer Notwendigkeit und ästhetischen Gründen fließend, erklärt „Kostenfalle Zahn“. Sind sich Familien trotz Beratung unsicher, was sie tun sollen, haben sie das Recht auf eine Zweitmeinung bei einem anderen Kieferorthopäden.

Bei privat versicherten Kindern hängt es vom Tarif ab, in welchem Umfang die Krankenversicherung die Kosten für eine Zahnspangen-Behandlung trägt.

Wenn die Kasse zahlt: Kommen dann keinerlei Kosten auf uns zu?

Doch. Eltern müssen zunächst 20 Prozent der Behandlungskosten selbst bezahlen, die sogenannten Eigenanteile. Werden weitere Geschwisterkinder gleichzeitig kieferorthopädisch behandelt, reduziert sich bei diesen der Anteil auf zehn Prozent. Nach Abschluss der Behandlung können sich Eltern das Geld von der Krankenkasse auf Antrag zurückerstatten lassen – allerdings nur, wenn diese erfolgreich war und der Nachwuchs zum Erfolg beigetragen hat.

„Wird die kieferorthopädische Behandlung wegen fehlender Mitarbeit, zum Beispiel wegen unzureichender Mundhygiene oder mangelnder Kooperation abgebrochen, ist die Erstattung der 20 Prozent ausgeschlossen“, sagt Jenny Füsting von der AOK Plus. Das komme aber nur selten vor. Bei der mitgliederstärksten Kasse in Sachsen liege die Anzahl der Abbrüche im unteren einstelligen Prozentbereich.

Wie läuft das mit der Kostenübernahme?

Bevor das Kind die Zahnspange bekommt, muss der Kieferorthopäde einen Behandlungsplan aufsetzen. Dieser dokumentiert den Befund und die geplanten Behandlungsmaßnahmen und ist auch eine Art Kostenvoranschlag. Der Arzt reicht diesen elektronisch bei der Krankenkasse des Kindes ein. Das heißt, die Eltern brauchen sich nicht zu kümmern. „Die Kosten einer regulären Behandlung mit einer Laufzeit von vier Jahren und dem Einsatz einer festsitzenden Zahnspange belaufen sich auf etwa 4000 Euro“, sagt Jenny Füsting von der AOK Plus. Allerdings kann es für die Kasse deutlich teurer werden, wenn die Behandlung länger dauert, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Deutlich niedriger liegen die Kosten bei Frühbehandlungen, bei denen die Dauer auf sechs Quartale begrenzt ist.

Erst wenn die Krankenkasse den Behandlungsplan genehmigt hat, kann es losgehen. Die Verbraucherzentrale rät Eltern, alle Unterlagen und Rechnungen im Original zu sammeln und am Ende der Behandlung auf eine Abschlussbescheinigung zu bestehen. Wurde ein medizinisch erfolgreiches Ergebnis erreicht, teilt der Kieferorthopäde den erfolgreichen Abschluss elektronisch der Krankenkasse mit. Diese setzt sich dann mit den Eltern in Verbindung, um ihnen die Eigenanteile zu erstatten.

Unser Arzt bietet kostenpflichtige Extras an. Lohnt sich das?

Gesetzlich Versicherte haben im Rahmen einer von der Kasse übernommenen Therapie Anspruch auf eine Behandlung ohne zusätzliche private Kosten. „Eine reine von der Kasse getragene Behandlung entspricht dem aktuellen Stand der Wissenschaft und ist keinesfalls minderwertig. Sie unterliegt nur der gesetzlichen Anforderung medizinisch notwendig, ausreichend und zweckmäßig zu sein“, sagt Reich.

Seit 2023 gibt es eine kieferorthopädische Mehrkostenregelung. Diese wurde von Vertretern der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen beschlossen sowie vom Bundesgesundheitsministerium bestätigt. Darin ist genau festgelegt, welche Leistungen die Krankenkasse trägt und für welche Leistungen private Zuzahlungen erforderlich sind“, sagt Uwe Reich, Kieferorthopädie-Referent des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen. „Ein Vorteil der Mehr- und Zusatzleistungen für unsere Patienten ist zunächst eine ästhetischere und komfortablere Behandlung“, sagt der Mediziner.

Welche Zusatzleistungen werden Patienten angeboten?

Zum Beispiel Keramikbrackets – sie sind weniger auffällig als Metallbrackets, die standardmäßig genutzt werden. Eine an der Zahninnenseite geklebte Lingualapparatur ist von außen sogar komplett unsichtbar. Andere Extras dienen dem Schutz der Zähne während der Spangenbehandlung, wie beispielsweise die Bracket-Umfeldversiegelung und die behandlungsbegleitenden Professionellen Zahnreinigungen.

„Es besteht auch die Möglichkeit, modernste Behandlungs- und Diagnostikmethoden einzubeziehen. So ersetzt der digitale 3-D-Scanner die herkömmlichen Kieferabformungen“, sagt Reich. Zudem erweitere der Einsatz von Miniimplantaten zur Verankerung der Apparaturen die kieferorthopädischen Behandlungsmöglichkeiten. „Es ist jedoch eine absolute Voraussetzung, dass unsere Patienten sachlich und vertrauensvoll beraten werden. Nur so können sie in die Lage versetzt werden, selbst ihre Entscheidung zu treffen“, so Reich. Daher bestehe die Verpflichtung, private Zusatzleistungen immer schriftlich zu vereinbaren.

Laut einem Gutachten im Auftrag des Gesundheitsministeriums leisten bundesweit rund 80 Prozent aller Eltern private Zuzahlungen für die Zahnspangen ihrer Kinder. Wie hoch diese im Schnitt ausfallen, ist schwer zu erfassen. Bekannt geworden sind mittlerweile Fälle, bei denen Eltern bis zu mehreren Tausend Euro bezahlt haben – oftmals aus Unsicherheit. Uwe Reich: „Für Eltern, die sich nicht gut beraten fühlen, ist die Patientenberatungsstelle bei der Landeszahnärztekammer Sachsen ein kompetenter Ansprechpartner.“ |mit dpa

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