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Zweite Ausgabe der Gegenwarten in Chemnitz eröffnet am Freitag: Was macht der Wal in der Tiefgarage?

Das halb versenkte Auto aus dem Chemnitzer Schlossteich ist wieder da! Zumindest könnte man das denken, wenn man sich das mit Wasser gefüllte Auto an der Brückenstraße anschaut. Es ist neben einem Wal im Parkhaus eines von rund 20 Objekten, die in der Open-Air-Ausstellung zu sehen sind.

Kunst.

Was hatte das halb versenkte Auto im Chemnitzer Schlossteich für Debatten gesorgt! Vor vier Jahren gehörte es zu den Kunstinstallationen der ersten "Gegenwarten"-Open-Air-Ausstellung - gedacht unter anderem als Sinnbild für die Klimakrise mit ihren Überschwemmungen, die auch Autos wie Spielzeug wegschwemmen können. Während manche diese Installation sehr wohl nachvollziehen konnten, andere den ungewöhnlichen Anblick mit dem bunten Schornstein im Hintergrund als Fotomotiv nutzten, schimpften wiederum andere über "diesen Mist" und forderten: Holt das Auto raus! Nun könnte man denken, dass dem Folge geleistet wurde und es jetzt an der Brückenstraße steht, bis zum Lenkrad randvoll mit Wasser gefüllt.

Es ist eines von rund 20 Objekten von lokalen, nationalen und internationalen Künstlern, die bei der zweiten Ausgabe der "Gegenwarten"-Ausstellung in Chemnitz zu sehen sind. Am Freitagnachmittag wird die Schau eröffnet, auch Kurzführungen werden angeboten.

"Natürlich haben wir wieder ein Auto. An dieser Tradition halten wir fest", sagte Kuratorin Anja Richter von den veranstaltenden Chemnitzer Kunstsammlungen lächelnd zur Pressekonferenz am Donnerstag. Nun muss man dazu sagen: Das Auto im Schlossteich war ja längst wieder abtransportiert worden, und das Auto jetzt an der Brückenstraße ist weder dasselbe noch ist es vom selben Künstler. Aber beide Autos lassen sich verbinden: "Hätte man das Auto damals aus dem Teich geholt, wie es manche wollten, hätte es so ausgesehen wie das jetzt an der Brückenstraße", sagt Florian Matzner, ebenfalls Kurator der Ausstellung und Kunstprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in München.

Das jetzige Auto, ein silberblauer BMW Baujahr 1990, das vor einigen Tagen aufgestellt wurde und bereits etliche Passanten stutzen ließ, ist eine Arbeit vom deutschen Künstlerinnenduo Haubitz + Zoche und weist ebenfalls auf den globalen Klimawandel hin - nur dass diesmal die Unwetterkatastrophe quasi im Auto konserviert ist. Übrigens: Es kann nichts passieren! Das Innenleben des Autos ist - wie es auch damals bei dem im Schlossteich war - ausgebaut.

Der Verweis auf die Klimakrise aber steht diesmal für die gesamte "Gegenwarten"-Schau, die mit dem Titel "New Ecologies" überschrieben ist. Alle Arbeiten beziehen sich auf den Klimawandel. "Zwar ist das Thema derzeit von anderen politischen Themen verdrängt worden, aber es lässt sich nicht verdrängen, dass der Klimawandel stattfindet und wir Lösungen brauchen", sagte Kulturbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky zur Pressekonferenz am Donnerstag.

Und auch Florence Thurmes, Generaldirektorin der Kunstsammlungen, wies auf apokalyptische Buschfeuer in Australien, Gletscherschmelze in den Bergen und Überschwemmungen in Deutschland hin, ebenso auf weltweite Fluchtbewegungen infolge von Umweltkatastrophen. Die Ausstellung nun soll zum Nachdenken und Diskutieren über das Thema anregen, auch kontrovers darf es dabei zugehen, das wichtigste aber sei, "dass wir überhaupt miteinander reden", so Ruscheinsky.

So sehr die Chemnitzer und ihre Gäste vor vier Jahren über das Schlossteich-Auto redeten und nun der BMW zu Diskussionen einlädt, Star der "Gegenwarten" wird diesmal wohl ein anderes Objekt werden: der Wal in der Tiefgarage am Theaterplatz. Als ob draußen das Wasser gestiegen ist, sich geografische Verhältnisse komplett geändert haben (Chemnitz am Meer) und das Tier eben hereingespült wurde, so liegt es da - in Originalgröße von mehreren Metern Länge. Grau und eingefallen - berührend und beeindruckend.

Der in Duisburg lebende israelische Künstler Gil Shachar konnte - nach langer Vorbereitungszeit und dem Einholen entsprechender Genehmigungen - einen Abdruck von einem im August 2018 an der Westküste Südafrikas angespülten toten Buckelwal nehmen. Der nun ausgestellte Wal aus Kunstharz sähe genauso aus, wie er angespült wurde, mit Bisswunden von Haien und Schnitten mutmaßlich von Schiffsschrauben verursacht.

Zu den Öffnungszeiten des Parkhauses ist dazu eine Musik von John Cage zu hören, die von Walgesängen beeinflusst ist. Es gibt bereits pessimistische Stimmen, die meinen, dass das Kunstwerk - für dessen Installation in der Tiefgarage Bauantrag und Baugenehmigungen notwendig waren - die Chemnitzer vor allem aufregen werde, weil für die Zeit der Kunstschau einige Parkplätze wegfallen, auf denen sich der Wal breitgemacht hat. Aber man habe sich eine Garage ausgesucht, wo sich die Frequenz einigermaßen in Grenzen halte, so Richter. Es gebe Dauerparker, die hier weiter parken können, und sonst werde es vor allem von Opernhausbesuchern genutzt - das jetzt ja aber in die Spielzeitpause geht.

Viel stärker im Blickpunkt von Passanten und in dieser Hinsicht eines der auffälligsten Kunstwerke ist da die "Sammelstelle" am Roten Turm. Eine große Architekturskulptur aus rot angestrichenem Holz leitet Regenwasser, das in einer Rinne am Roten Turm aufgefangen wird, über eine Leitung im Holzkonstrukt in das wenige Meter entfernte Loch, in das wiederum ein Auffangbecken installiert wurde. Von dort kann es über Pumpen und einem Wasserhahn entnommen und damit beispielsweise Blumen und Bäumchen im Stadthallenpark gegossen werden.

Der Gedanke dahinter: Man mache sich eben meist keinen Gedanken, was mit der wertvollen Ressource Wasser in Form von Regenwasser in Städten passiert, sagt Markus Bader von der Gruppe Raumlabor aus Berlin, die an der Schnittstelle von Kunst und Architektur arbeitet. Oft versickere das Wasser ungesehen. Hier nun wird sein Weg sichtbar gemacht, wird im Becken quasi festgehalten und kann unkompliziert genutzt werden.

Das kuriose an der Arbeit sei hingegen das bereits vorhanden gewesene betonierte Loch selbst: für das fühlten sich, sagen Künstler wie Ausstellungsmacher, weder Stadtverwaltung noch daneben liegendes Einkaufszentrum verantwortlich und es sei auch nicht herauszubekommen, welchem Zweck es eigentlich dienen soll. Nun gibt es mit dem Kunstwerk ein Angebot - so pragmatisch kann Kunst sein. Zumal Bader betont, die Konstruktion sei extra so gebaut, dass sie aussieht, als könne sie jeder mit Baumarkt-Mitteln nachbauen, um dem Gefühl entgegenzuwirken, dass man selbst doch nichts machen könne. Doch, man kann.

Es gibt aber auch kleinere Installationen zu entdecken. Am Seeberplatz zum Beispiel hat der dänische Künstler Tue Greenfort Japanischen Staudenknöterich in ein seit Jahren nicht mehr genutztes Brunnenbecken gesetzt: Dieser Kunst-Knöterich besteht aus biobasiertem, recycelbarem Kunststoff, der im 3D-Druck-Verfahren in entsprechende Pflanzenform gebracht wurde.

Dahinter am Ufer der Chemnitz finden sich reale Vertreter der Pflanze, die generell ein schlechtes Image hat als unverwüstbar, sich extrem ausbreitend. Tue Greenfort hingegen verweist auch auf ihre guten Seiten als Baustoff, Biomasse-Energielieferant und Wirkstoffgeber in der Medizin.

Andere Künstler und Künstlerinnen befassen sich in ihren Arbeiten unter anderem in der Baugrube vor dem Tietz mit dem versteinerten Wald, mit der Erde der aufgebaggerten Zietenstraße auf dem Sonnenberg, mit dem sinnbildlichen Brennen des Planeten durch die Erderwärmung am Museum Gunzenhauser, in der Nähe der Stadthalle mit dem Co2-Ausstoß oder im Foyer der Universitätsbibliothek mit sogenannten Geisterflügen, Leerflügen von Transport- und Passagierflugzeugen. Manche Arbeiten sind schnell zu verstehen, andere haben einen eher spielerischen Charakter, wieder andere einen stärker intellektuellen Ansatz.

Zu den ersten "Gegenwarten" 2020 hatte der damalige Kunstsammlungschef Frédéric Bußmann angekündigt, dass die "Gegenwarten" - damals waren sie noch ein Baustein der finalen Bewerbung von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 - regelmäßig stattfinden und Chemnitz bekannt für moderne Kunst machen sollen. Ein Anspruch, den Kulturbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky am Donnerstag gewissermaßen bestätigte: Die "Gegenwarten" sollen weiter entwickelt werden und regelmäßig stattfinden.

 

Die Open-Air-Ausstellung "New Ecologies/Gegenwarten II" wird am Freitag, 21. Juni, 17 Uhr, am Karl-Marx-Monument in Chemnitz unter anderem von Florence Thurmes, Generaldirektorin der Kunstsammlungen, eröffnet. Zudem gibt es eine Einführung in die Ausstellung und ab 18 Uhr Kurzführungen. 20 Uhr ist im Weltecho, Annaberger Straße 24, Party mit dem New-Ecologies-DJ-Team angesagt. Die Open-Air-Ausstellung ist bis zum 29. September in der Chemnitzer Innenstadt zu sehen. Es gibt ein umfassendes Begleitprogramm. Ein Katalog soll noch erscheinen. Weitere Informationen finden Sie hier 

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